Ein physikhistorischer Stadtführer für Jena
Aus physikhistorischer Perspektive verfügt Jena, obwohl eine der kleineren Städte Deutschlands, über eine außerordentlich reiche Vergangenheit. Die Zusammenarbeit Ernst Abbes mit Carl Zeiss, die Abbesche Theorie des Mikroskops und der wissenschaftlich fundierte Mikroskopbau sind im kollektiven Gedächtnis eng mit der Saalestadt verknüpft. Ebenso dürften der Entwurf und die Konstruktion des ersten großen Projektionsplanetarium in Jena weitläufig bekannt sein. Dass bereits 250 Jahre zuvor Erhard Weigel ein Planetarium in Form eines begehbaren Himmelsglobus mit etwa fünfeinhalb Meter Durchmesser auf dem Dach des Jenaer Stadtschloss errichten ließ, kann dagegen kaum zum Allgemeinwissen gezählt werden. Die Entdeckung des ultravioletten Lichts durch Johann Wilhelm Ritter, die Aufzeichnung des ersten Elektroenzephalogramms durch Hans Berger und die Beschreibung und Berechnung von magnetischen Linsen durch Hans Busch, grundlegend für die darauffolgende Entwicklung von Elektronenmikroskopen: all dies sind Beispiele für die weitreichende physikhistorische Bedeutung der Saalestadt.
Solche Orte, an denen für die Physikgeschichte bedeutende Entdeckungen gemacht wurden, zeichnet die European Physical Society seit 2012 als Historical Sites aus. Obwohl üblicherweise einzelne Gebäude oder Gebäudekomplexe diese Ehrung erhielten, wurde aufgrund der außergewöhnlichen Dichte an physikhistorisch bedeutsamen Orten ein Nominierungsantrag für die „City of Jena“ durch Christian Forstner (Vorsitzender des Fachverbandes Geschichte der Physik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft) eingereicht. Im Rahmen dieses Antrags wurde auch das Projekt zur Erstellung eines physikhistorischen Stadtführers ins Leben gerufen.
Die verschiedenen Aspekte der Jenaer Physikgeschichte, die von der 500 Jahre andauernden astronomischen Tradition über die Geschichte der Optik bis hin zur Festkörperphysik reichen, sollten anhand der mit ihnen verknüpften Gebäude zeitlich und räumlich lokalisiert und strukturiert werden. Wissenschaftspolitische Bestrebungen (wie die von Erhard Weigel vorangetrieben Kalenderreform in protestantisch regierten Ländern), Wissenschaftspopularisierung (wie Hermann Schaeffers „Physik der Armen“), die enge Verknüpfung von Präzisionsmesstechnik und Grundlagenforschung (wofür Georg Joos‘ Michelson-Morley Experiment beispielhaft steht) sowie die Verbindung von Kunst, Architektur und Physik (wie sie sich im Wohnhaus Felix Auerbachs präsentiert) sollten anschaulich und stets mit Blick auf die gesellschaftlichen, technischen und politischen Rahmenbedingungen dargestellt werden.
Gedruckt wurden die Ergebnisse in Form eines Stadtführers in der Reihe „Jenaer Beiträge zur Physikgeschichte“ des GNT-Verlags veröffentlicht. Weiterhin sollten die Gebäude mit Schildern und QR-Codes gekennzeichnet werden. Die darüber erreichbare Webdokumentation umfasst neben einer kurzen architekturhistorischen Beschreibung der einzelnen Gebäude und ihrer physikhistorischen Bedeutung auch eine Karte, so dass eine Route existiert, die man mit Smartphone oder Tablet ablaufen kann.