Das Lebenswerk des Jenaer Zoologen und Evolutionsbiologen Ernst Haeckel (1834-1919) fällt in eine Zeit wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Prägend für das lange 19. Jahrhundert waren insbesondere die Industrialisierung, Kolonialisierung und Säkularisierung.
Haeckel stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Als Professor konnte er seine Position und seine Beziehungen nutzen, um seine Lehren zu verbreiten. Ausgehend von Darwins Evolutionstheorie beteiligte er sich an der Begründung und Verbreitung einer neuen biologistisch geprägten Weltanschauung.
Seine Natur- und Kulturbeschreibungen enthalten wie die vieler europäischer Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts koloniale Denkmuster. Schon das Reisen und Zusammentragen von Wissen waren untrennbar verbunden mit der Macht, die Europa in anderen Teilen der Welt ausübte. Koloniale Herrschaftsverhältnisse stützten sich nicht nur auf Waffengewalt und ökonomische Ausbeutung, sondern auch auf die Kolonisierung des Kulturellen. Vor diesem Hintergrund sind auch die rassistischen Klassifikationen zu bewerten, die ein wesentlicher Bestandteil von Haeckels Evolutionsbiologie waren und die Idee der Überlegenheit der Europäer zum Ausdruck brachten.
Zu Haeckels biologistischem Menschenbild gehörte auch, dass er sich ab 1900 für die Tötung von Menschen aussprach, die er für unheilbar geisteskrank und leidend hielt. Haeckels Werk wirft damit Fragen zum Verhältnis von Kolonialismus, Sozialdarwinismus, Eugenik und nationalsozialistischer Rassenpolitik auf, die längst nicht erschöpfend erforscht wurden.
Mit unserer Lehre, unserer Forschung und der geplanten Ausstellung im Ernst-Haeckel-Haus leisten wir einen Beitrag zur Aufarbeitung dieser Geschichte. Unsere Arbeit knüpft an die Initiativen der Universität Jena zum kritischen Umgang mit Kolonialismus, Rassismus und Sexismus an:
- Koloniales Erbe ThüringenExterner Link
- Wie umgehen mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in klassischen Werken der Philosophie? Externer Link
- Jenaer Erklärung
- erinnern: gestalten - Projekt "Kritische Erinnerungskultur" an der Universität JenaExterner Link
Zu einer kritischen Behandlung von Haeckels Werk gehört auch die Aufarbeitung seiner Rezeptionsgeschichte in der Weimarer Republik, NS-Zeit, DDR und BRD, die Schlaglichter auf das jeweilige Wissenschaftsverständnis und die verschiedenen Erinnerungskulturen wirft.