In den letzten Jahrzehnten hat die Geschlechterforschung die historische und kritische Auseinandersetzung mit Wissenschaft um neue methodische und theoretische Ansätze und Perspektiven erweitert. Ein wichtiger Aspekt ist die Sichtbarmachung der Beiträge von Frauen in der Wissenschaft, die in der klassischen Geschichtsschreibung unbeachtet bleiben. Untersucht werden ferner die strukturellen und ideologischen Mechanismen, die im Verlauf der Geschichte und bis heute Frauen von den Wissenschaften ausschließen oder marginalisieren. Thematisiert werden auch Auswirkungen einer von Männern dominierten Wissenschaft auf die Forschungsfragen und -ergebnisse.
In ihrer kritischen Betrachtung der Wissenschaften hat sich die Geschlechterforschung mit allen Naturwissenschaften befasst – auch mit der Mathematik und Physik. Sie hat aber Entwicklungen in der Medizin und Biowissenschaften eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es ging dabei darum, die Rolle dieser Wissensfelder in der Konstruktion und Naturalisierung gesellschaftspolitischer Vorstellungen zu beleuchten, die das Geschlecht, aber auch die „Rasse“ oder Klasse betreffen.
Soziale Vorstellungen von Geschlecht können aber auch den Prozess der Erkenntnisproduktion oder die Entwicklung von Theorien beeinflussen. Eine Reihe von Studien haben z.B. die epistemologische Funktion von geschlechtlich kodierten Dualismen und Metaphern, von expliziten oder impliziten Annahmen über Geschlechterdifferenzen in der Zellbiologie des 19. Jahrhunderts sowie in der Molekulargenetik des 20. Jahrhunderts analysiert. Aus der Geschlechterforschung sind wichtige Erkenntnisse über die Verflechtungen von Biomedizin, Politik und Gesellschaft hervorgegangen, die wir in unseren Forschungen zu den Lebenswissenschaften vom 18. bis zum 20. Jahrhundert nicht nur rezipieren, sondern weiterentwickeln wollen.
Kontakt: Florence Vienne